BMW R 1300 GS: Machtwechsel

Die R 1250 GS ist das weitaus meistverkaufte Motorrad in Deutschland. Ihre neu konstruierte Nachfolgerin wird 12 kg leichter und mit 145 PS deutlich kräftiger.

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BMW R 1300 GS

(Bild: BMW)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Wohl kaum ein Motorrad wurde dieses Jahr mit so großer Spannung erwartet, wie die BMW R 1300 GS. Die Boxer-GS von BMW ist das meistverkaufte Motorrad in Deutschland und führt seit Jahren mit weitem Abstand die Neuzulassungsstatistik an. Am heutigen 28. September präsentierte BMW sein neues Flaggschiff in seinem Berliner Werk. Die R 1300 GS wird ohne Frage der neue Bestseller von BMW weltweit werden.

Nachfolgerinnen extrem erfolgreicher Modelle sind für die Entwickler fast immer eine Herausforderung. Einerseits müssen sie Innovationen bieten, andererseits dürfen sie nicht zu weit vom bewährten Gewohnten abrücken, um die konservativen Fans nicht zu vergraulen. Der Spagat ist BMW bei der neuen R 1300 GS gut gelungen, sie ist auf Anhieb als "die GS" zu erkennen, zeigt aber nun ein schlankeres Design. Sie wirkt nicht mehr so wuchtig und behäbig, dank einer neu gestalteten Front mit einem Scheinwerfer, der nicht mehr auf Höhe des Lenkers, sondern deutlich tiefer sitzt. Durch den Kunstgriff konnte nun der Windschild ebenfalls niedriger angesetzt werden. Das ergibt eine flachere und dynamischere Linie. Auch die seitlichen Abdeckungen und die klare, einfache Form des Hecks suggerieren mehr Leichtigkeit. Ihr erfreulich kompakter Endschalldämpfer trägt zu dem Bild bei.

Das neue Gesicht fällt durch die Anordnung von vier LED-Tagfahrleuchten in Form eines X um den einzelnen Matrix-LED-Scheinwerfer auf, asymmetrische Doppelscheinwerfer sind bei BMW endgültig passé. Oberhalb befindet sich eine glatte, schwarze Kunststofffläche, die jedoch eine wichtige Funktion hat: Dahinter verbirgt sich der Radar. Auch wenn der Entenschnabel als stilbildendes Mittel erhalten bleibt, wirkt der Frontaufbau nun kompakter und ansprechender. Die seitlichen Cover des Telelevers sind schmaler und lassen die "Brust" optisch nicht mehr soweit anschwellen. Dafür sind die Seiten hinter dem Boxermotor jetzt verkleidet, so erscheint das Motorrad insgesamt stimmiger und nicht mehr wild zerklüftet.

BMW R 1300 GS (5 Bilder)

Die neue BMW R 1300 GS wirkt schon optisch etwas leichter als ihre Vorgängerin und erfüllt die Erwartung auch auf der Waage mit 12 kg weniger Gewicht.
(Bild: BMW)

Das war möglich, weil die R 1300 GS keinen Gitterrohrrahmen mehr besitzt und auch der Heckrahmen komplett neu ist. Der Blechschalen-Hauptrahmen besteht aber weiterhin aus Stahl, soll aber deutlich steifer sein als früher. Ihr neuer Heckrahmen wird aus geschmiedetem Aluminium hergestellt. Der Sitz bleibt breit und ergonomisch ausgefeilt, ist aber nicht mehr ganz so tief gezogen. Schon das Design soll ausstrahlen, dass die neue GS deutlich leichter als ihre Vorgängerin ist, das Leergewicht sinkt laut Herstellerangaben um 12 kg auf 237 kg. Erreicht hat BMW das – neben der neuen Rahmenkonstruktion – unter anderem durch den Einsatz leichter Materialien, allein der Motor soll 6,5 kg leichter sein, und durch Weglassen, so entfiel z. B. der Hauptständer und das Handrad zur Verstellung des Federbeins, auch die Lithium-Batterie spart einiges an Gewicht ein. Dass der Tank von 20 auf 19 Liter schrumpfte, mag die GS zwar leichter machen, dürfte aber bei der Reisefraktion nicht auf Begeisterung stoßen, weil die Reichweite sinkt.

Im Vorfeld wurde über einen komplett wassergekühlten Motor spekuliert, doch BMW blieb dabei, nur die Zylinderköpfe und Teile des Zylinders mit Flüssigkeit zu kühlen, die restliche Kühlung übernimmt weiterhin der Fahrtwind. Im Motor tut sich einiges, die Bohrung wächst auf 106,5 Millimeter, der Hub sinkt auf 73 Millimeter. Somit vergrößert sich der Hubraum auf exakt 1300 cm3. Zudem erhöht BMW die Verdichtung von 12,5:1 auf 13,3:1. Die Leistung steigt von 136 auf 145 PS bei 7750/min, der rote Bereich beginnt bei 9000 Touren. Auch das Drehmoment steigt von 143 Nm auf satte 149 Nm bei 6500/min. BMW betont, dass sich das Drehmoment über den gesamten Drehzahlbereich verbessert hat, zwischen 3600 und 7800/min stehen ständig über 130 Nm bereit.

Dabei litt die Vorgängerin R 1250 GS nun wirklich nicht unter Leistungsmangel, sondern galt als ausgesprochen kräftig, dank der Shift-Cam-Technologie mit variablen Nockenprofilen auf der Einlassseite, das auch in der R 1300 GS weiterhin für mächtig Durchzug sorgt. BMW vergrößerte zudem den Durchmesser der Einlassventile von 40 auf 44 Millimeter und die Auslassventile von 34 auf 35,6 Millimeter. Der Hersteller hat bereits ein Leistungsdiagramm veröffentlicht, das zwar einen kleinen Durchhänger bei 5000/min ausweist, der aber vermutlich bei dem üppigen Drehmoment im Fahrbetrieb nicht weiter auffallen wird. BMW gibt eine Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h an, dann regelt die GS elektronisch ab.

Das Sechsgang-Getriebe sitzt nun unterhalb und nicht mehr hinter dem Motor, was die Einbaulänge reduziert, den Schwerpunkt absenkt und die Handlichkeit beflügeln soll. Die für BMW-Boxer-Modelle obligatorische Einarmschwinge mit integriertem Kardan blieb natürlich erhalten. BMW verkündet stolz ein neu entwickeltes Fahrwerk. Vorne kommt das Evo Telelever zum Einsatz, bei dem die Gabelholme in der oberen Gabelbrücke fixiert sind. Damit der Lenker nicht der Nickbewegung folgt, ist er über ein Edelstahl-Element flexibel mit der Gabelbrücke verschraubt. Die Gleitrohre sind nun mit 45 Millimeter um acht Millimeter dicker, der vordere Federweg der R 1300 GS bleibt bei 190 Millimeter. Hinten gibt es entsprechend ein neues Evo Paralever mit weiterhin 200 Millimeter Federweg. Ihr Radstand wächst leicht von 1514 auf 1518 Millimeter, der Lenkkopfwinkel steht mit 63,8 Grad etwas flacher und der Nachlauf steigt von 100,6 auf 112 Millimeter.

Die R 1300 GS steht serienmäßig auf Gussfelgen, Drahtspeichenfelgen, wie sie Enduristen bevorzugen, kosten 455 Euro Aufpreis. Die Schlauchlosreifen Metzeler Tourance Next 2 entsprechen in ihren Dimensionen denen an der Vorgängerin: 120/70-19 voren und 170/60-17 hinten.

Änderungen gibt es hingegen bei den Bremsen, die beiden vorderen radial verschraubten Vierkolbenzangen stammen jetzt nicht mehr von Hayes, sondern von Brembo und die Bremsscheiben wachsen im Durchmesser auf 310 Millimeter, die Einzelscheibe hinten auf 285 Millimeter. Die R 1300 GS verzögert nun mit Integral ABS Pro, bei dem der Handbremshebel sowohl auf die vordere, als auch auf die hinter Bremse einwirkt, das gleiche Prinzip trifft auf die Betätigung des Fußbremshebels zu.Vorstellung der

Standard ist das Dynamic ESA Next Generation, doch das neue elektronische Dynamic Suspension Adjustment (DSA) gibt es für 1610 Euro Aufpreis als Teil des Dynamic-Pakets und erhöht den Komfort, indem es die Federrate und Dämpfung entsprechend des vorgewählten Fahrmodus und der Beladung automatisch an die Fahrsituation anpasst. In den Ausgleichbehältern sitzen dafür zusätzliche Federn, mit denen die Federrate und effektive Federhärte variiert werden können. Die optionale "Adaptive Vehicle Height Control" reduziert rasch die Sitzhöhe von 850 Millimeter auf 820 Millimeter bei langsamer Fahrt und im Stillstand. Es stand außer Frage, dass BMW alles, was es an elektronischen Assistenzsystemen gibt, in die neue R 1300 GS packen würde. Sie verfügt über Tempomat und dank des Radars über Front Collision Warning, bei dem das Motorrad selbstständig abbremst, um den vorgegebenen Abstand zu halten. Lane Changing Warning warnt mit einem roten Dreieck im Rückspiegel vor Fahrzeugen im toten Winkel.

Im Cockpit erfreut ein 6,5 Zoll großes TFT-Display, das selbstverständlich per Bluetooth kompatibel mit dem Smartphone ist. Das Display ermöglicht verschiedene Darstellungsoptionen. Serienmäßig kommt die R 1300 GS mit den Fahrmodi "Eco", "Rain", "Road" und "Enduro". Nur in Verbindung mit dem 1610 Euro teuren Dynamik-Paket gibt es zusätzlich die Modi "Dynamic", "Dynamic Pro" und "Enduro Pro". Kurven-ABS, mehrstufige Schlupfregelung und Motorschleppmomentregelung sind bei der R 1300 GS genauso inbegriffen wie Berganfahrhilfe, ein 12-Volt-Anschluss und USB-A-Stecker mit 5-Volt-Stromversorgung in einem Smartphone-Ablagefach.

Wie bei BMW typisch, gibt es mehrere aufpreispflichtige Pakete: "Innovation-Package", "Dynamic-Package" und "Touring-Package" für alle Varianten und für die Basic- und Trophy-Variante noch das "Comfort-Package". Ein umfassendes Zubehörangebot ist bei BMW Pflicht, erst Recht gilt das beim Bestseller GS. Wichtig für die Tourenfahrer – und die dürften die Mehrheit unter den GS-Besitzer stellen – ist die erlaubte Zuladung. Ausgerechnet hier patzt die R 1300 GS ein wenig: Es sind 228 kg Zuladung gestattet.

BMW R 1300 GS (9 Bilder)

Die Version "Style GS Trophy" bekommt Drahtspeichenfelgen. In den weniger teuren Versionen sind Gussfelgen Serie.
(Bild: BMW)

Da alle GS-Käufer grundsätzlich reichlich Zubehör ordern, was das Leergewicht in die Höhe treibt, muss im Zwei-Personen-Betrieb je nach Fahrer- und Sozius-Gewicht schon darauf geachtet werden, dass nicht zuviel Gepäck mitgenommen wird. Wo wir gerade bei Kritikpunkten sind: Die vorderen Blinker hat BMW in die Handprotektoren integriert. Das mag schick aussehen, aber schon ein harmloser Umfaller im Stand kann schnell teuer werden. Eigentlich sollten Handprotektoren auch dazu dienen, Kosten beim Sturz zu sparen.

Dass die R 1300 GS teurer werden würde als die Vorgängerin, war zu erwarten. BMW setzt den Listenpreis der ab 4. November erhältlichen neuen GS mit 19.100 Euro an, 800 Euro mehr als bei der letzten GS. Dafür bietet die neue Boxer-GS-Generation serienmäßig mehr Ausstattung wie Abstandsradar, Totwinkelwarner, Heizgriffe, Keyless Ride, Reifendruckkontrolle, Tempomat und Integral-ABS. Andererseits entfielen Ausstattungen wie etwa der Hauptständer, was altgedienten GS-Fahrer nicht gefallen wird. Auch dass Features wie z. B. ein Quickshifter (heißt bei BMW "Schaltassistent Pro") Aufpreis kosten, ist in Anbetracht des hohen Basispreises unverständlich. Wer eine andere Lackierung als "Lightwhite uni" möchte, muss tief in die Tasche greifen: "Style Triple Black" (inklusive Komfortfahrersitz, elektrisch verstellbarem Windschild, Sozius-Paket und Hauptständer) kostet 805 Euro extra, "Style GS Trophy" (kommt mit Drahtspeichenrädern und höherer Sitzbank) 830 Euro und "Aurelius Green Metallic" gibt es nur in Verbindung mit "Option 719" (enthält golden eloxierten Drahtspeichenfelgen, Komfortfahrersitz, elektrische verstellbarem Windschild, Sozius-Paket, Hauptständer und Frästeile-Paket) für satte 2740 Euro.

Wer bei der R 1300 GS fleißig Kreuzchen in der Zubehörliste setzt, kann locker die 25.000-Euro-Marke überspringen. So kostet allein das Kunststoffkoffer-Set mit insgesamt 62[  Liter Volumen 990 Euro, zwingend muss dazu das Tourenpaket für 710 Euro gebucht werden. Viele GS-Käufer nehmen beim Kauf gleich alle verfügbaren Pakete (Dynamik, Innovation, Komfort und Touring) und sind dann zusätzlich 3915 Euro los. Im Falle der Variante "Option 719" kann der Preis unter voller Ausnutzung der Zubehörliste auf fast 33.000 Euro klettern.

Doch für die Boxer-GS galten bislang anscheinend die Marktgesetze nicht und BMW konnte von der R 1250 GS weit mehr Exemplare absetzen, als von seinen deutlich günstigeren kleineren Modellen. Allein letztes Jahr machte die R 1250 GS mehr als ein Drittel aller verkauften BMWs in Deutschland aus. Die Erfolgsstory dürfte sich bei der R 1300 GS fortsetzen.

Noch nicht vorgestellt hat BMW die Nachfolgerin der R 1250 GS Adventure (sie bleibt vorerst im Programm), die auf den Namen R 1400 GS hören soll, was jedoch Hochstapelei ist, denn sie wird denselben 1300er-Boxer-Motor tragen. Dafür wird sie aber einen größeren Tank und eine tourenspezifische Grundausstattung haben wie vermutlich auch einen höheren, elektrisch verstellbaren Windschild, Komfortsitzbank und Kofferhalter. Mit großer Neugier harrt die GS-Fangemeinde auf die M 1300 GS. Sie wird von der M GmbH aufgebaut und dürfte auf mehr Geländetauglichkeit getrimmt sein. Das bedeutet im allgemeinen längere Federwege, etwas weniger Gewicht und grobstollige Enduroreifen. Vielleicht auch eine kurze Rallye-Sitzbank und Sturzbügel serienmäßig. Lassen wir uns überraschen.

(fpi)